TT 16.07.16: „Eine Stimme mit Amt hat mehr Gewicht“

Veröffentlicht am 19.07.2016 in Bundespolitik

Als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ist die Bundestagsabgeordnete Dr. Bärbel Kofler ständig auf Achse.
Ob es um die Hinrichtungspraxis in den USA und China geht, um Arbeitnehmerrechte in Hongkong oder um die Folgen der Dürrekatastrophe in Äthiopien: Als Menschenrechts- beauftragte der Bundesregierung fühlt MdB Dr. Bärbel Kofler sich zum Tätigwerden aufgefordert.

Frau Kofler, wie fühlen Sie sich als Menschenrechtsbeauftragte?
Kofler: Sehr gut und sehr beschäftigt. Neben der gesamten Bandbreite der Menschenrechtspolitik bin ich ja auch zuständig für die humanitäre Hilfe. Ich freue mich sehr, dass ich vom Außenminister für dieses Amt vorgeschlagen wurde. Ich sehe das auch als Wertschätzung meiner bisherigen Arbeit in der Entwicklungspolitik, zuletzt als entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Außenminister Frank Walter Steinmeier?
Kofler: Sehr gut. Er ist sehr nahbar. Es ist einfach, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung sind. Denn Beratung ergibt nur dann Sinn, wenn man auch mal im Dissens ist.

Warum hat der Außenminister denn gerade Sie für das Amt der Beauftragten für Menschrechtspolitik und Humanitäre Hilfe vorgeschlagen?
Kofler: Das müssen Sie ihn schon selber fragen. Vermutlich weil ich elf Jahre Entwicklungspolitik gemacht und dabei entsprechende Positionen sehr exponiert vertreten habe.

  „ Zusammenarbeit mit Amnesty hervorragend“




Was sind die Aufgaben der Menschenrechtsbeauftragten?
Kofler: Ich berate die Bundesregierung in Fragen der Menschenrechte und humanitären Hilfe. Mein Amt ist beim Auswärtigen Amt angesiedelt. Das heißt, ich muss in erster Linie schauen, wie die Situation außerhalb Deutschlands ist.

Und innerhalb Deutschlands?
Kofler: Für Menschenrechtsthemen innerhalb Deutschlands sind andere Stellen wie zum Beispiel Petitionsausschüsse und Gerichte zuständig. Aber natürlich verschließe ich nicht die Augen vor Problemen im eigenen Land, weder als Menschenrechtsbeauftrage noch als Bundestagsabgeordnete.

Amnesty International kritisiert, dass es dem Posten an Rang und Kompetenz fehle und der Menschenrechtsbeauftragte lediglich „folgenlose Rhetorik“ betreibe. Hat Amnesty recht?
Kofler: In der Politik gibt nicht einer den Ton an, und alle anderen setzen das dann um. Die Kritik von Amnesty ist insofern berechtigt, als mein Amt nicht weisungsbefugt ist. Trotzdem ist es ein Mehrwert, wenn man eine Situation klar artikuliert. Im Übrigen arbeite ich mit Amnesty hervorragend zusammen. Wir führen regelmäßige Gespräche. Das ist eine ganz wichtige Organisation für mich. Freilich: Vertrauliche Gespräche sind das eine. Was eine Organisation dann in der Öffentlichkeit zugespitzt formuliert, das andere.

Eine Ihrer Vorgängerinnen im Amt ist Claudia Roth. Haben Sie Frau Roth bei Ihrem Amtsantritt um einen Ratschlag gebeten?
Kofler: Ich war mit ihr auf einen Kaffee. Sie bot mir das an. Ich schätze Claudia Roth sehr. Ich kenne sie aus der Arbeit in der Entwicklungspolitik. Wir sind gemeinsam in Pakistan gewesen.
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Und wie ist es um Ihre mediale Präsenz bestellt?
Kofler: In Berlin werde ich medial mehr wahrgenommen als zuvor. Sehr viele Anfragen erhalte ich für Hörfunkinterviews. Und sehr viele Einladungen bekomme ich von meinen Kollegen in deren Wahlkreise.

Das Amt der Menschenrechtsbeauftragten ist vor allem eine moralische Institution. Hat Ihre Stimme innerhalb Ihrer eigenen Fraktion jetzt mehr Gewicht? Ich erinnere nur an den mehrheitlichen Willen der SPD-Bundestagsfraktion, die Maghreb-Staaten zu sicheren Drittstaaten zu erklären. Diese Position lehnen Sie selbst strikt ab.

  „Was fehlt, ist ein Einwanderungsgesetz“

 


Kofler: Eine Stimme mit Amt hat immer mehr Gewicht. Auch kann ich dank meines Amts sehr fundierte Argumente beisteuern. Meine Einschätzung zur Frage der Maghreb-Staaten habe ich im Auswärtigen Amt und in der SPD-Fraktion sehr deutlich dargelegt. Auch habe ich ein grundsätzliches Problem mit dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten. Es geht davon aus, dass es aus diesen Staaten wenige politische Asylbewerber gibt und dass deren Asylverfahren verkürzt werden können. Das überzeugt mich nicht. Es handelt sich um eine falsche Reaktion auf die Vorkommnisse der Silvesternacht in Köln. Sie ist weder den Ereignissen dort, noch der Sachfrage angemessen.

Was wäre für Sie die Alternative?
Kofler: Was fehlt, ist ein Einwanderungsgesetz. Ein solches bräuchten wir unbedingt für die Behandlung bestimmter Fragestellungen. Hingegen ist die Einstufung „sicheres Herkunftsland“ wie ein Etikett, mit dem sich gewisse Länder dann auch noch schmücken. Dabei sagt es überhaupt nichts über die Menschenrechtssituation in diesen Ländern aus. Aus Gesprächen mit algerischen Gewerkschaftsfunktionären weiß ich um die schwierige Menschenrechtssituation in der Region.

Wie ist Ihre Rechtsstellung? Agieren Sie als Mitglied des Parlaments oder als Beraterin der Bundesregierung?
Kofler: Wenn es um Flüchtlingspolitik in Deutschland geht, bin ich als Parlamentarierin tätig. Und diese inländische Aufgabe ist für mich auch sehr wichtig. Man kann ja nicht über die Zustände in anderen Staaten reden, wenn man sich nicht die Situation im eigenen Land ganz genau anschaut.

Welche Mittel stehen Ihnen denn zur Verfügung?
Kofler: Ich habe ein Büro im Auswärtigen Amt mit drei Mitarbeitern und kann auf die Mitarbeiter des Außenministeriums und auf alle Informationen des Auswärtigen Amtes zugreifen. Ich kann dort mit allen reden und allen meine Meinung darlegen. Ich nehme an regelmäßigen Runden mit Staatssekretären teil und habe einen sehr kurzen Draht zum Außenminister.

Wie viel sind Sie denn unterwegs?
Kofler: In den ersten 100 Tagen habe ich 52 600 Kilometer zurückgelegt, nicht gerade wenig. An meinem ersten Tag nahm ich in Genf am Menschenrechtsrat teil. Anschließend reiste ich mit dem Bundespräsidenten nach China, dann nach Äthiopien, wo großer Nahrungsmangel herrscht. Anschließend war ich in Sri Lanka bei einer Tagung von Verteidigern der Menschenrechte. Dann führte ich in Pakistan Gespräche über Blasphemiegesetze und Kinderrechte, nahm in der Türkei am humanitären Weltgipfel teil und verschaffte mir in Idomeni einen Eindruck von der Lage der Flüchtlinge.

  „Die Todesstrafe ist
per se abzulehnen“



Sie sind also in einer Tour auf Achse. Haben Sie überhaupt noch Zeit für Ihre parlamentarische Arbeit?
Kofler: Aber ja! Ich bin zwar nicht mehr entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, aber immer noch stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretende Vorsitzende der bayerischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Die reguläre Parlamentsarbeit mache ich noch, in Ausschüssen kann ich nicht mehr wie bisher mitarbeiten. Leider!

Werden Sie sich zur Hinrichtungspraxis in den USA und in China äußeren?
Kofler: Ja! Das ist ein Riesenthema, ich meine die Todesstrafe weltweit, auch im Iran, in China, in Saudi-Arabien. Die Todesstrafe ist per se abzulehnen. Ich kritisiere sie überall, sobald ich von einem Fall Kenntnis erlange.

Wie werden Sie als Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung in der Welt wahrgenommen?
Kofler: Unterschiedlich. Es kommt sehr darauf an, ob es einem Land wichtig ist, wie über seine menschenrechtliche Situation im Ausland gesprochen wird. Manchen Staaten ist es durchaus wichtig, wie sie wahrgenommen werden. Das ist gut. Denn dann besteht die Möglichkeit, einen Dialog zu beginnen. Aber es gibt auch Staaten, in die mein Vorgänger überhaupt nicht einreisen durfte. Mir ist das noch nicht passiert.

Wie wählen Sie Ihre Gesprächspartner in den Staaten, die Sie bereisen, aus?
Kofler: Ich versuche immer, mich mit Vertretern der örtlichen Zivilgesellschaft zu treffen und mit Verteidigern der Menschenrechte zu sprechen. In einigen Ländern ist das für die Betroffenen riskant. In China einen Menschenrechtsverteidiger zu treffen, ist eine echte Herausforderung – für mich in logistischer Hinsicht, für meine Gesprächspartner hingegen ist es wirklich gefährlich.

Wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Kofler: Bei den Menschenrechten ganz allgemein und speziell im Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Menschenrechten. Denn wie es in der Welt zugeht, hat auch damit zu tun, wie wir uns hier in Deutschland benehmen, Stichwort: Globalisierung.

Globalisierung auf Kosten von Menschen- und Arbeitnehmerrechten...
Kofler: Genau! Weltweit verdienen über 800 Millionen Menschen weniger als zwei Dollar am Tag, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. 20 Millionen Menschen arbeiten als Sklaven, ein Viertel davon sind Kinder. Jedes Recht, das gebrochen wird, ist gleich dramatisch!

Auf welche Weltregionen werden Sie Ihren Fokus legen?
Kofler: In Asien auf Pakistan, Bangladesch und China und in Afrika auf Länder mit beginnender Industrialisierung. Die Missachtung der Menschenrechte und Probleme mit menschenwürdigen Arbeitsplätzen ziehen sich wie ein Faden durch viele Länder. Das hat auch etwas mit den Handelsverträgen und dem Handelsgebaren der internationalen Konzerne zu tun.

Und überall wollen Sie sich engagieren?
Kofler: Ja. Und noch mehr: Mich beschäftigen auch die Auswirkungen der vergessenen Krisen, zum Beispiel die Dürrekatastrophen in Äthiopien, im Südsudan, in der Subsahara als Folge von „El Niño“. Gerade in Afrika gibt es Länder, in denen die menschenrechtliche Situation katastrophal ist, über die man bei uns aber überhaupt nicht redet. Wir zählen weltweit 65 Millionen Flüchtlinge und 125 Millionen Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Die Finanzierungslücke dafür wird auf 20 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Hören Sie auf, da wird einem ja angst und bang! Wie geht es Ihnen denn dabei?
Kofler: Einer allein kann nie die Lösung all dieser Probleme bewirken. Die Ursachen sind vielfältig und liegen sowohl in unserem Verhalten als auch bei den Regierungen dieser Länder begründet. Egal, wie viel Kompetenz man mir da in Deutschland gibt: Das lässt sich nicht so einfach verändern. Ich sehe aber immer wieder, dass man seine Gesprächspartner nach und nach dazu bringen kann, sich für Themen zu öffnen. Darum bleibe ich dran!

Was sind Ihre nächsten Reiseziele?
Kofler: Im September fliege ich nach Hongkong, wo Regionalwahlen stattfinden. Dort werde ich das Thema der Arbeitnehmerrechte ansprechen. Dann reise ich zum UN-Gipfel nach New York. Auch in Warschau findet im September ein großer Gipfel statt und in Priština eine Konferenz für die Rechte Homosexueller. Ich bin gerade in der Reiseplanung für das Jahr 2017: Wichtige Ziele könnten Mexiko und Kolumbien sein. Themen vor Ort wären dann etwa verschwundene Menschen und die Rolle der Polizei in Mexiko oder der Friedensprozess in Kolumbien.

Und wie schaut es mit Ihrer Freizeit aus? Lässt Ihr Amt eine solche noch zu?
Kofler (seufzt): Ein bisschen weniger ist meine Freizeit schon geworden. Ich bin eben sehr viel auf Reisen. Deshalb versuche ich, an Feiertagen oder an den Wochenenden zu reisen, damit ich noch die nötige Zeit für den Wahlkreis habe. Aber im August mache ich Urlaub. Darauf freue ich mich schon.

Interview: Rainer G. Zehentner.

 

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